Ein relativer Fluch

In den 90er Jahren propagierten Ökonomen und Politologen die Theorie des „Fluchs der natürlichen Ressourcen“. Danach sollte sich ein grosser Reichtum an Rohstoffen direkt negativ auf das Wirtschaftswachstum und das Konfliktpotenzial in Staaten auswirken. Die ETH-Ökonomin Christa Brunnschweiler kommt in einem Paper, das im Mai in Science erschienen ist, zu anderen Kausalitäten.

1995 publizierte der Starökonom und Wirtschaftsberater unzähliger Regierungen, Jeffrey D. Sachs, zusammen mit Andrew M. Warner das Werk „Natural resource abundance and economic growth“. Darin beschrieben die Autoren anhand der Auswertung von Weltbank-Daten eine direkte Kausalität zwischen Ressourcen und ökonomischer Prosperität eines Landes. Ein grösserer Ressourcenreichtum bedeutet demnach automatisch ein schwächeres Wirtschaftswachstum. Beispiele dafür sind nicht schwer zu finden: Das Öl in Nigeria, Diamanten und Gold im Kongo oder Kupfer in Sambia – Fälle, in welchen der Rohstoff-Reichtum mit ökonomischer Schwäche einhergeht. Dazu kommen oftmals bewaffnete Konflikte; ein Umstand, welcher P. Collier und A. Hoeffler mit ihren Studien ebenfalls auf den Ressourcenreichtum zurückführten. Seither gelten die Rohstoffe als Fluch; und Politikberater weltweit stützten sich auf Sachs` und Colliers Theorien. Einzelne gingen so weit, den Regierungen von Entwicklungsländern zu empfehlen, ihre natürlichen Ressourcen am besten gleich im Boden zu belassen.

Verwaltung ist entscheidend

Christa Brunnschweiler vom „Chair of Economics/Resource Economics“ des Center of Economic Research der ETH Zürich gehört zu einer Gruppe von Ökonominnen, welche den angeblichen „Fluch“ in den vergangenen Jahren zu bezweifeln begannen. „Wie würde das Beispiel Norwegen in diese Theorie passen? In den sechziger Jahren noch ein relativ armes Land, konnte der Staat aufgrund der Förderung seiner Ölreserven eine florierende Wirtschaft aufbauen“, hält Brunnschweiler fest. Zusammen mit Erwin Bulte von der Wageningen Universität in den Niederlanden hat sie in der Maiausgabe von Science ein Paper veröffentlicht, in welchem sie beschreiben, wie aus dem Fluch ein Segen wird.

Sachs berechnete den Ressourcenreichtum ursprünglich, indem er den Erlös aus Primärexporten durch das Bruttoinlandprodukt eines Staates teilte. „Damit wird aber nicht der Ressourcenreichtum, sondern die Ressourcenabhängigkeit ausgewiesen“, kritisiert Brunnschweiler. Um den Ressourcenreichtum korrekt abzubilden, präsentiert sie im Science-Paper eine alternative Berechnungsmethode. Dabei wird der Faktor „Ressourcenreichtum“ so gut wie möglich von verfälschenden und in der Berechnung nicht kontrollierbaren Faktoren, wie zum Beispiel der institutionellen Qualität eines Landes, befreit. Das im Paper beschriebene „Endogenitäts-Problem“ von Sachs` Berechnung ist damit gebannt. Wird der auf diese Weise berechnete Faktor „Ressourcenreichtum“ in Beziehung zum Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung gebracht, kommen Brunnschweiler und Bulte auf einen positiven Zusammenhang von Rohstoffen und wirtschaftlichem Wachstum. „Wir konnten mit unseren Berechnungen eine umgekehrte Kausalität zur bisher gängigen Theorie beweisen. Eine verfehlte Wirtschaftspolitik treibt die Menschen in Entwicklungsländern zwar in eine stärkere Abhängigkeit von ihren natürlichen Ressourcen, diese sind aber nicht die Ursache für die Missstände“, so Brunnschweiler. Entgegen Collier und Hoeffler glaubt die Ökonomin sogar, dass die höheren Einkommen aufgrund von Rohstoffexporten das Risiko von Konflikten in der Bevölkerung vermindern helfen. Die Abhängigkeit von Rohstoffen ist demnach vielmehr ein Symptom der Konflikte und Unterentwicklung eines Landes und nicht der Grund dafür.

Verallgemeinerungen sind unzulässig

Entscheidend für den wirtschaftlichen Aufschwung aufgrund des Rohstoff-Reichtums sind laut Brunnschweiler die politischen Strukturen und die institutionelle Qualität eines Landes: „Natürlich besteht vor allem in Staaten mit Bodenschätzen wie Öl, Gold oder Diamanten ein grösserer Anreiz für Korruption und persönliche Bereicherung. Daran sind aber nicht die Rohstoffe schuld, sondern das politische System, welches diese verwaltet“. Trotz der allgemein positiven Kausalität zwischen Ressourcenreichtum und Wirtschaftsentwicklung müsse jedes Land einzeln betrachtet werden, um herauszufinden, ob Rohstoffe im spezifischen Fall positive oder negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben.

Die Berechnungen von Brunnschweiler und Bulte beruhen momentan noch auf einer geringen Datenmenge. Erst für 98 Länder wurden die benötigten Zahlen von der Weltbank erhoben und dies bislang nur in den Jahren 1994 und 2000. Dazu kommt, dass nicht alle Rohstoffe in den Ressourcendaten verzeichnet sind, so fehlen zum Beispiel Erlöse aus der Diamantförderung. Brunnschweiler hofft deshalb, dass die entsprechenden Weltbankerhebungen in Zukunft jährlich durchgeführt werden. Das Interesse an einer Auswertung dieser Daten scheint gegeben: Erst kürzlich wurden Brunnschweiler und Bulte für ein Buchprojekt von der Princeton University Press angefragt. Darin soll die Theorie des Ressourcenfluchs neu evaluiert werden. Ein direktes E-Mail oder Telefon von Jeffrey Sachs ins Büro von Christa Brunnschweiler blieb hingegen bis heute aus.

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CW